Zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) als Komplizen bei der Auslagerung von Grenzkontrollen!?
Mit der Zunahme restriktiver Migrationspolitiken sind lokale Migrationsakteure, insbesondere aus den Herkunftsländern von Flüchtlingen und Migrant*innen, nach wie vor nicht ausreichend mit den manipulativen Strategien der EU vertraut, die darauf abzielen, die EU-Grenzen zu externalisieren. Regelmäßig werden sowohl Regierungen als auch lokale CSOs im Zuge dubioser EU-Migrations- und Entwicklungsprojekte in rein symbolische Zusammenarbeit gelockt.
Aufgrund des anhaltenden postkolonialen Einflusses können afrikanische Länder kaum von einer souveränen Migrationspolitik sprechen, die unabhängig von den Vorgaben internationaler Geldgeber gestaltet ist. Viel eher sind afrikanische Migrationspolitiken auf eine eurozentrische Perspektive der Migration von Afrika nach Europa ausgerichtet, welche die Realität einer überwiegend innerkontinentalen Migration bewusst verschleiert.
Im Zuge andauernder EU initiierter Projekte im Bereich Migration und Entwicklung – die im trügerischen Gewand einer moralischen Solidarität der EU daherkommen – werden lokale Migrationsakteure in den Herkunftsländern von Flüchtlingen und Migrant*innen immer wieder in tokenistische Zusammenarbeit gezogen und dadurch mitschuldig an Programmen, die letztlich der Externalisierung von EU-Grenzkontrolle dienen. Diese Projekte, die meist auf strengen und komplizierten Auflagen beruhen, sollen in erster Linie die tatsächlichen Ursachen von Migration sowie die weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen verschleiern. Im Gegenzug fördern sie ein propagandistisches Narrativ, welches Schleuserei und Menschenhandel als das ausschließliche Problem der aktuellen Migrations- und humanitären Katastrophe darstellt.
Angesichts der komplexen Zusammenhänge und Strukturen im Zuge der Auslagerung von EU-Grenzkontrollen wird es zunehmend schwieriger, direkte Verantwortungen oder sonstige Rechenschaftspflichten innerhalb des aktuellen Migrationsdilemma zu identifizieren. Ebenso wichtig ist es, den Widerspruch zwischen der EU-Propaganda zur Förderung legaler Migrationswege auf der einen und gleichzeitig immer strengeren Visabestimmungen sowie der Förderung rassistischer innenpolitischer Maßnahmen auf der anderen Seite hervorzuheben. Eine Entwicklung, die die Vulnerabilität überlebender Migrant*innen in Europa stetig erhöht – getreu dem Motto: „Wer nicht im Mittelmeer ertrinkt, ertrinkt später in der Flut deutscher Bürokratie!“
Es reicht! Die anhaltenden Doppelstandards der EU müssen ein Ende haben und Migrationsakteure in Afrika müssen beginnen, die anhaltende Arroganz der EU bei Migrationsthemen infrage zu stellen. Migration ist ein grundlegender Teil des Menschheits-Erbes! Migration ist ein Menschenrecht, und keine Macht – nicht einmal das imperialistische Europa – kann menschliche Mobilität verbieten. Das bestätigen selbst die letzten zehn Jahre EU-geförderter Brutalität gegenüber Migrant*innen. Es ist offensichtlich, dass die Probleme der Migration so lange bestehen bleiben und sich sogar verschärfen werden, wie die EU weiterhin die Regeln diktiert. Die grausamen und unmenschlichen Migrationspolitiken der EU werden weiter massive Gewalt legitimieren und zu immer mehr Todesfälle führen, da Menschen keine andere Wahl bleibt, als auf der Suche nach Schutz und einem Leben in Würde immer riskantere Migrationsrouten zu wählen.
Menschen werden frei geboren – frei, sich auf der Welt zu bewegen, wie Fische im Meer. Wir dürfen nicht zulassen, dass uns irgendeine Macht oder irgendein Komplex dabei begrenzt. Dasselbe Europa, das unsere Vorfahren versklavte und unsere Länder weiterhin ausbeutet, hält uns erneut hinter Mauern fest. Das ist Rassismus, und wir dürfen keine Angst haben, es auch als solchen zu benennen. Afrikaner*innen müssen aufwachen und das Selbstverständnis Europas als Lehrermeister anprangern, von dem wir angeblich lernen müssten, wie wir unsere Grenzen verwalten sollen. Die afrikanische Zivilgesellschaft muss umfassend über die Migrationsagenda der Europäischen Union informiert sein, denn die Externalisierung der EU-Grenzen geschieht bereits unmittelbar in unseren eigenen Strukturen und Institutionen. Der Weg zu diesem Bewusstsein beginnt mit einer Auseinandersetzung über folgende Fragen:
– Warum hat die EU das Recht, unsere Grenzen zu überwachen, während wir nicht dasselbe in Europa tun dürfen?
– Welches Recht hat die europäische Polizei, Abflüge an unseren Flughäfen zu kontrollieren, während wir nicht dasselbe in Europa dürfen?
– Warum sollte die EU die Bewegungsfreiheit selbst innerhalb unserer eigenen Union (ECOWAS) einschränken, während man sich mit einem Schengen-Visum frei in Europa bewegen kann?
Das Hauptproblem ist, dass afrikanische Staats- und Regierungschefs nicht mutig genug sind, diese Realität gegenüber der EU offen anzusprechen. Trotz Bestehen der Afrikanischen Union werden afrikanische Länder auf internationalen Plattformen meist einzeln und isoliert angesprochen. Diese langjährige imperialistische Politik des „Teile und Herrsche“ hat stets zu Spaltung und Disharmonie auf dem Kontinent beigetragen. Die EU-Politik der Externalisierung hat enorme negative Auswirkungen auf die afrikanische Wirtschaft – insbesondere im Hinblick auf Humankapital, Handel und viele andere Bereiche, die die Entwicklung behindern. Auch die weit verbreitete Tradition des Lobgesangs auf internationale NGOs ist alarmierend. Lokale CSOs müssen Stellung beziehen und auf öffentlichen Plattformen mit internationalen NGOs die Realitäten ansprechen. Sie müssen sich von der Verlockung routinemäßig reproduzierter Reintegrationsprojekte befreien, die sie zu bloßen Dienstleistern und effektiven Erfüllungsgehilfen der Auslagerung von EU-Grenzkontrollen degradiert haben.
Speziell in Nigeria, mit seiner symbolischen Position im Migrationskomplex, besteht ein dringender Bedarf an einer Veränderung des Verständnisses und der Diskussion von Migration. Die gesamte Debatte zur „Lösung der Migrationsfrage“ dreht sich um die vermeintliche Bekämpfung von Menschenhandel, mit Rückkehr- und Reintegrationsangeboten als Hebel für europäische Solidarität und Saviorismus. In westafrikanischen Regionen, insbesondere in Nigeria, fehlt es stark an kritischem Bewusstsein für die Migrationsagenda der EU. Angesichts der hohen Erwartungen an den „Riesen Afrikas“ ist also gerade dort ein beschleunigtes Bewusstsein für No-Border-Perspektiven unerlässlich: Was ist die „Festung Europa“? Was ist Frontex und welche Rolle spielt es bei der Externalisierung der EU-Grenzkontrolle? Wer sind die anderen Schlüsselakteure im Externalisierungsregime? Was sind die zentralen Aspekte der Auslagerung von Grenzkontrolle? Etc.
Eine entscheidende Stimme für diesen Wandel liegt bei den CSOs. Die Transformation muss mit einem Verständnis von Migration beginnen, das über das übliche isolierte Bild hinausgeht. Migration ist heute mit jedem anderen gesellschaftlichen Bereich verflochten, weshalb es zwingend notwendig ist, sich in breiteren Netzwerken gegen alle Formen sozialer Ungerechtigkeiten zu engagieren – z. B. Landwirtschaft, Land Grabbing, Klimagerechtigkeit, verschiedene Formen von Ungleichheit usw. Nigeria kann nicht weiterhin als Testgelände oder regionaler Kontrollpunkt für die ausbeuterischen Interessen der EU dienen. Mit Blick auf das Weltsozialforum 2026 in Cotonou muss also eine No-Border-Delegation aus Nigeria vor Ort sein, um sich mit anderen in der Region zu vernetzen und diesen Prozess voranzutreiben.
Mit ausreichendem Bewusstsein und kritischem Verständnis der Migrationskomplexitäten werden CSOs besser ausgerüstet sein, die tatsächlichen Herausforderungen anzugehen und sich klar gegen die Versuche der EU zu positionieren, sie als Dienstleister in die Auslagerung der EU-Grenzkontrolle hineinzuziehen. Neben der Tatsache, dass uns die Rückkehr- und Reintegrationsangebote in eine Lage von Bittstellern ohne Wahlmöglichkeiten versetzen, erleichtern sie massive Abschiebegewalt sowie den Missbrauch von Migrant*innenrechten. Darüber hinaus destabilisiert es das Land Nigeria und macht es zudem zu einem „Abladeplatz“ für Europas unerwünschte Migrant*innen.
Die Tatsache bleibt bestehen: „Kein Land – nicht einmal Europa – kann ohne Migrant*innen existieren oder überleben.“ Es ist allgemein bekannt, dass das von Deutschland geprägte Europa dringend auf die Zuwanderung von Arbeitskräften angewiesen ist, um die Zukunft seines Sozialstaates zu sichern. Und dennoch werden, insbesondere in Deutschland, gut integrierte Migrant*innen abgeschoben, die viele Jahre gearbeitet und Steuern gezahlt haben. Die Behauptung, legale Migrationswege fördern zu wollen, ist offensichtlich eine Farce und dient lediglich der Auswahl von Migrant*innen, die für deutsche Wirtschaftsinteressen nützlich erscheinen. Das ist moderne Sklaverei. In Deutschland hat es beispielsweise Tradition, Migrant*innen so lange in einem Zustand der Unsicherheit und Verletzbarkeit zu halten, bis sie nicht mehr gebraucht werden – um sie dann abzuschieben.
Das Network for Critical Migration Consciousness „NfCMC“ arbeitet an der Einrichtung einer Online-Plattform für No-Border Migration Awareness in Nigeria. Ziel ist es, online verfügbare kritische Migrationsressourcen an Migrationsakteure in Nigeria zu vermitteln. In Zusammenarbeit mit Refugees4Refugees und anderen transnationalen No-Border-Netzwerken wird es regelmäßigen Online-Austausch zu migrationsrelevanten Themen geben. Die Plattform soll ein breiteres Bewusstsein für die externen und internen Migrationspolitiken und Interessen der EU schaffen. Zum Start der Plattform ist im Januar 2026 ein Webinar geplant, das einen kritischen Überblick über die „Gemeinsame Europäische Asylpolitik“ (CEAP) und deren Widersprüche zu bestimmten nationalen Regelungen einzelner EU-Mitgliedstaaten bietet. Darüber hinaus wird es im Webinar kritische Einblicke in die Externalisierungsinteressen, Akteure und Strategien der EU geben. Es wird dabei nicht um Slogans gehen, sondern um Realitäten, über die wir ab jetzt kontinuierlich sprechen müssen. (Bitte sehen Sie unten die empfohlenen Links.) Fortress Europe ICMPD-Expanding eu Border regime Frontex
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