INTERVIEW MIT REX OSA (THE VOICE REFUGEE FORUM)
Normalerweise habe ich immer von Refugee und non-Refugee Aktivist_innen gesprochen, wenn es darum ging, diejenigen zu benennen, die in der Bewegung für die Rechte von Flüchtlingen und Migrant_innen aktiv sind. Leider ertappe ich mich selbst dabei, ohne nachzudenken das Wort ‚Unterstützer’ zu benutzen, weil es in den heutigen Kämpfen ziemlich populär ist. Von einer kritischen Seite aus betrachtet, bedeutet ‚Unterstützer’ sein, auf eine Art die Verant- wortlichkeiten in der Bewegung zu ignorieren. In manchen Fällen stellen sich Aktivist_innen sogar als „Helfer“ vor, das macht es noch schlimmer. Dieses Etikett ‚Unterstützer’ wurde nach dem Nobordercamp 2012 in Köln noch verbreiteter, als sich non-refugee-Aktivist_innen benahmen wie ‚Schuldige ohne Überzeugung‘. Damit wollten sie jeder Anschuldigung ausweichen, dass sie Hierarchien reproduzieren würden oder irgendwie versuchen, dominant zu sein, etwa durch eigene Beiträge und Ideen speziell zu Fragen, die Migrant_innen und Flüchtlinge betreffen. Auf dem Noborder- camp verwandelte sich die gesamte Szenerie in eine Atmosphäre der Isolation, als die non-refugee Aktivist_innen sich selbst darauf reduzierten, sich reserviert zu verhalten und so tun als fänden sie alles super, was Opfer von Rassismus von sich geben, selbst wenn das Gesagte ganz offensichtlich sinnlos ist. Das war eigentlich eine schreckliche Situation von falscher Solidarität, die ich als ‚Schuld ohne Überzeugung’ bezeichnen würde. Das ganze wurde für mich zu einer Art Farce auf höchstem Niveau.
Was meinst du mit Verantwortung? Was sind die Verantwortlichkeiten von deutschen Aktivist_innen in gemeinsamen Kämpfen?
Wir müssen alle die Tatsache akzeptieren, dass wir die Pflicht und die Verantwortung haben, aus der Welt einen Ort zu machen, an dem es sich besser leben lässt. Wir sind dabei alle mit Problemen konfrontiert, mit Problemen auf verschiedenen Ebenen, die alle mit dem bestehenden System absoluter Kontrolle zu tun haben, das, durch unge- rechte und brutale Mechanismen verstärkt, der imperialen Ideologie dient. Es ist völlig klar, dass Flüchtlinge am verletzlichsten sind, weil sie weder in ihrem Heimatland noch in der imperialistischen Welt hier einen Platz haben, trotz der Erwartung, dass ihre Sicherheit hier doch garantiert sein müsste. Es ist auch wichtig zu verstehen, mit welcher Situation die Leute hier konfrontiert sind, und welche Schwierigkeiten sie haben, den ihnen zur Verfügung ste- henden Privilegien zu widerstehen, die auf unsere Kosten zum Auau des Westens beitragen, durch Zerstörung unserer Länder. Die Verantwortung von non-refugee Aktivist_innen fängt dabei an, dass sie die Tatsache verstehen müssen, dass wir jahrhun- dertelang Sklaverei, Ausbeutung, Rassismus und Ausrottung erlebt haben, alles um der Privilegien Willen, die sie heute genießen. Die Verantwortung von non-refugee Aktivist_innen fängt an bei der Überzeugung, dass alle Strukturen angeprangert werden müssen, die Trennungen und rassistische Ausbeutung legitimieren, die Menschen ausschließen und in bestimmte Klassifizierungen unterteilen. Denn Würde ist das authentische Recht jedes Lebewesens, ohne irgendwelche rassistischen oder sonstigen Unterscheidungen.
Verantwortung übernehmen heißt ehrliche Solidarität, die auch empowerment von unterdrückten Menschen beinhaltet, gegen alle ungerechten Strukturen, koloniale Verfolgung, die immer umgesetzt wurden, um dem Wohle des Westens zu dienen. Was ich damit sagen will, ist: Wir müssen zusammenarbeiten, um die Festungen staat- licher Politik niederzureißen, einer Politik der Brutalität, der Militarisierung, der Ausbeutung und Diskriminierung, also auch jede Struktur, die es begünstigt, Menschen in Klassen zu unterteilen. Das betri die Europäer_innen auch.
Die Angst, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, rassistische Dominanz zu reproduzieren, hindert viele non-refugee Ak- tivist_innen daran, bei kritischen Entscheidungen im Kampf von Flüchtlingen ihren Input zu geben. Das ist für mich aber auch rassistisch, wenn du davon überzeugt bist, dass sich eine Entscheidung negativ auswirken wird und das bei der Planung nicht berücksichtigt wurde, du dich aber zurück-hältst, damit die armen Flüchtlinge machen können, was sie möchten, und du das dann auch noch als Respekt für Selbstorganisierung ausgibst.
Auf der anderen Seite werden einige Flüchtlinge auch dazu instrumentalisiert, die Rolle von non-refugee Aktivist_innen in deren Aufgabe als Unterstützer zu sehen ohne Rederecht bei der Entscheidungsfindung und einfach passiv. Ich bin aber davon überzeugt, dass Selbstorganisierung keinen Raum für Respektlosigkeit gegenüber dem Engagement von non-refugee Aktivist_innen aufmacht. Ich finde eine Form der Selbstorganisierung, die nach dem Motto ausgeübt wird „Wir machen das sowieso so, wie wir wollen, und niemand darf das in Frage stellen“, sehr problematisch, auch für unser Vorwärtskommen in der gesamten Bewegung. Äußerungen wie „Ich bin nicht in der Position, etwas zu entscheiden“ sind sehr populär geworden unter vielen linken Aktivist_innen, obwohl manche von diesen Aktivist_innen das Ganze aus dem Hintergrund dirigieren und im Plenum nur so tun, als ob. Die Idee des Unterstützers kommt mir so vor: protestierende Flüchtlinge entschließen sich dazu, zu Solidarität aufzurufen für ihren Plan, im Mittelmeer zu ertrinken, als Signal und um öffentlichen Druck zu erzeugen bezüglich der Situation der Flüchtlinge… . Wer unter den so genannten Unterstützern würde sich an dieser Aktion beteiligen? Selbst beim Hungerstreik, wie viele so genannter Unterstützer könnten sich da beteiligen? Das Etikett ‚Unterstützer’ ist für viele linke Aktivist_innen, ein Mittel, um sich rauszuhalten, und nicht selbst den Schritt zu tun, staatliches Unrecht praktisch anzugehen, sondern es im Stillen gut zu finden, statt selbst für gleiche Rechte und Freiheit für alle zu kämpfen.
Heißt das, dass selbstorganisierte Kämpfe von Flüchtlingen und gemeinsame Kämpfe zusammengehören, statt ein Widerspruch zu sein ganz im Sinne des berühmten Slogans „Wie ist deine Befreiung mit mei- ner verbunden“?
Alles in allem gibt es eine bestimmte Grenz- linie, auf der wir unsere Solidarität auauen müssen. Dies muss damit verknüpft sein, offen die Forderungen der Betroffenen herauszuarbeiten, ohne Kompromisse bei dem, was Würde und Freiheit ausmachen. Wir müssen uns den Raum nehmen, für uns selbst zu sprechen, dass wir an zivilen Ungehorsam gegen rassistische Gesetze glauben, dass wir die Abschaffung von Essenspaketen fordern, von Essens Gutscheinen, Lagern etc.. Für all das braucht es keinerlei Verhandlungen, die solche Forderungen nach unserem ureigenen Recht auf Würde einschränken. Wir tragen alle miteinander die Verantwortung dafür, die Welt lebenswert für alle zu machen, die in der Welt existieren.
Dennoch, du hast Diskriminierung, Dominanz und sogar Rassismus erlebt in der Zusammenarbeit mit deutschen Aktivist_innen. Kannst du zwei oder drei Beispiele nennen?
Die Abolish-Kampagne war eine sehr wichtige Erfahrung für mich. Das Problem war, dass wir es da mit paternalistischer Expertise zu tun hatten, durch die unsere Fähigkeiten, Teil der Veränderung zu sein, geschwächt wurden. Es begann schon beim ersten Vorbereitungstreffen in Nürnberg, als wir versucht haben, einen passenden Namen für die Kampagne zu finden. In diesem Treffen, bei dem sehr wenige refugee Aktivist_innen anwesend waren, sollte mit einer Abstimmung durchgesetzt werden, dass ein Kampagnenname, der auch das Wort ‚Verfolgung’ beinhaltet, ausgeschlossen wird. Mit der Entschuldigung, dass das Wort die Mobilisierung von Solidarität in Deutschland erschweren würde, sollte die Unterdrückung dann nicht mehr bei ihrem eigentlichen Namen genannt werden. Das setzte sich fort bis zum letzten Vorbereitungstreffen in Berlin, mit dem selben Reproduzieren von Hierarchie und Besserwissen, was in der Kampagne laufen soll. Ich persönlich finde es auch schwer zu erkennen, was mit der Abolish-Kampagne konkret erreicht worden ist, auch wenn ich die Tatsache anerkenne, dass kein Versuch, gegen das staat- liche Unrecht vorzugehen, jemals umsonst ist. Sowie eine gut vorgetragene Aktion so viel an Veränderung bewirken und eine Ermutigung für die Selbstbestimmung der Unterdrückten sein kann. Die Entwicklung der Flüchtlingsbewegung hat gezeigt, dass unsere offensichtliche Anwesenheit einen großen Unterschied im Kampf gegen die Isolation und für die Befreiung der unterdrückten Menschen in der Welt ausmacht.
Wie blickst du da heute drauf? Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen glaube ich, dass wir viel mehr Toleranz brauchen, um unsere Positionen besser zu verstehen. Konflikte können wir sicherlich nicht total vermeiden, aber wir sollten so offen sein, unsere Kritik zu äußern auf eine Art und Weise, die wenigstens unserem jeweiligen Engagement Respekt zollt. Wenn die Abolish-Kampagne jetzt stattfinden würde, würde ich persönlich anders reagieren und die Probleme als einen Teil der Herausforderung in der Bewegung sehen. Ich denke, die Vorbereitungsphase zum No- bordercamp 2012, ich meine der Konflikt, der fast die ganze Vorbereitung ins Wanken gebracht hat, kann auch als typisches Beispiel gesehen werden.
Ich habe gelernt, die Tatsache zu verstehen, dass wir verschiedene Hintergründe haben, weshalb wir eine fortlaufende Atmosphäre der Toleranz für unsere verschiedenen Sichtweisen brauchen. Diese Toleranz würde den Weg bereiten für ein besseres Verständnis dafür, wie unsere verschiedenen Kämpfe miteinander verbunden sind. Wir müssen eine Kultur der Verständigung erlernen, also dass das, was mich betrifft, auch dich betrifft, und mehr Verständnis für die Macht des Zusammen-Kämpfens.
Aber was heißt das, wenn ernsthafte Konflikte aufkommen? Wie sollte das Gespräch aus deiner Sicht laufen?
Es ist keine Theorie zu sagen, dass jede weisse Person in eine rassistische Ideologie hineingeboren und entsprechend sozialisiert
wurde. Das hat mit allen Aspekten sozialer Entwicklung zu tun. Revolutionäre Aktivist_in in der linken Szene zu sein, entlastet hiervon nicht. Die Orientierung an der rassischen Überlegenheit ist immer präsent. Deshalb glaube ich, dass es immer wichtig ist, sich damit in einer sehr konstruktiven Weise auseinanderzusetzen, denn als Menschen stecken wir immer in Lern- prozessen, um uns zu orientieren, was für manche Leute das ganze Leben anhält.
Es läuft letztlich alles auf Geduld und Toleranz hinaus als Schlüssel zu konstruktiven Diskussionen und Austausch, um sich besser zu verstehen und einige Verhaltensweisen zu korrigieren, die unbewusst diskriminierende Tendenzen zeigen. Zum Beispiel hast du vielleicht unbewusst auf eine bestimmte Weise gehandelt, von der ich mich rassistisch belästigt fühle oder so etwas ähnliches. Wenn ich entscheide, dass ich keinen Raum dazu habe, das mit dir zu diskutieren, auf Grundlage der Idee, dass es für dein Verhalten keine Rechtfertigung geben darf, dann düre ich kaum eine Hilfe sein für dich, weil diese Handlung sich ständig wiederholen wird. Meine Verantwortung ist aber, das wenn möglich klarzustellen. Das soll natürlich keine Rechtfertigung für ir- gendeine Art der Diskriminierung sein.
In meiner Analyse des Konzepts beim No- bordercamp 2012, bedient sich das Konzept des „STOP Sagens“ in Diskussionen letztlich der selben Hierarchie, die wir damit tendenziell angehen wollen. Vielleicht hat meine Position auch mit meinem eigenen sozialen Hintergrund zu tun, weil wir Probleme wie Belästigungen ausdiskutieren, egal wie traumatisierend das vielleicht ist. Das ist in unserer Kultur der Weg, einen Streit zu schlichten. Das ist genau wie jemanden zu verlieren: die Möglichkeit zu trauern und zu weinen hilft dir, über die Schmerzen in deinem Herzen hinwegzukommen, weil nicht zu weinen bedeutet, die Trauer aufzubewahren und das ist nicht gesund.
Was ich sagen möchte ist, wir brauchen den Raum, um Dinge zu klären, auch wenn das mal schrecklich ist und voller Konflikte. Wir können mit den Konflikten nicht einfach leben, wir brauchen Konflikte, um weiter zu kommen, das ist unsere tagtägliche Herausforderung. Es ist ein lebenslanger Prozess, diskriminierende Handlungen, den Glauben an die Überlegenheit von Rassen und all das restlos zu beseitigen. Was wirklich wichtig ist, ist dass wir lernen, wie wir uns am besten gegenseitig mit Respekt behandeln. Das ist der Schlüssel, um unsere Konflikte zu überwinden und uns gegenseitig als Partner zu begreifen, um gemeinsam das System zu verändern.
Ok, das hört sich sehr vernünftig und anspruchsvoll an. Aber was tust du, wenn eine Person so eine Situation einfach nicht aushält ?Wie sollte reagiert werden, wenn ein Flüchtling oder eine Frau sich von anderen Aktivist_innen richtig erniedrigt oder sogar bedroht fühlt?
Was sexuelle Belästigung anbelangt, glaube ich schon, dass es möglich ist, zu lernen, NEIN zu sagen, wenn es dazu kommt. Ich habe mal den Fall eines Flüchtlings mitbekommen, der nicht so gut Englisch konnte, der hatte seine Gefühle gegenüber einer deutschen Aktivistin mit einer SMS ausgedrückt, in der stand „Ich will Sex mit dir“ („I like to fuck you“). So ein Text kann von manchen Leuten als sehr arrogant und respektlos verstanden werden. Aber ein Verständnis der Situation, dass es in dem Fall keine Arroganz war, sondern einfach die Art, in der es ihm möglich war, seine Gefühle bezüglich einer Beziehung auszudrücken, konnte die eskalierte als übergriffig wahr- genommene Situation auflösen.
Ob Mann oder Frau, wir müssen uns immer als Menschen behandeln. Wir sind mit Gefühlen auf die Welt gekommen, die in unserem Inneren entstehen. Daher ermöglicht der Raum, diese Dinge zu reflektieren, ein klareres Verständnis davon, worin die Grundlage unserer Handlungen besteht, um so auch unsere Reaktionen regulieren zu können. Wir müssen beide Standpunkte verstehen.
INTERVIEW: DorEttE FührEr https://we.riseup.net/assets/206466/Wie%20ist%20deine%20Freiheit%20mit%20meiner%20verbunden.pdf
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